30 Juli

Europa – Meditation Nr. 512

Das jüngste Beispiel von Hybris.

Männer machen Geschichte. Ein alter Hut? Ein ausgedienter Spruch? Leider nein. Und natürlich gehören genügend Speichellecker und Trittbrettfahrer dazu, die beim „Geschichte Machen“ mörderisch mithelfen, damit auch eine gehörig horrende Spur von gewaltsamen Morden den patriarchalischen Größenwahn dokumentieren kann. Das Gebeinhaus, das nötig wäre, all diese jungen Männer ordentlich zu bestatten, wäre ein Mausoleum in einer Größenordnung, das sicher in den Club der Weltwunder aufgenommen werden müsste. Hier nur ein paar Namen von „Fachkräften“ für das, was schon die Griechen mit einem die Zeiten überdauernden Begriff zu fassen versuchten: Xerxes, Attila, Napoleon, Wilhelm II. – sie und viele mehr fanatische Anbeter der Fata Morgana „Weltmacht“ , der Hybris ( griech.: Hochmut, Frevel, Anmaßung – selbstherrlicher Übergriff eines Mannes oder einer ganzen Mannschaft, sprich Staat, gegen sakrosankte Normen oder Menschenrechte).

Heutzutage – im ehemaligen Phönizien – hat sich wieder jemand selbst dazu erkoren, ein gewaltiger David zu sein gegen eine Welt von Goliaths, die er alle mit seiner Schlauheit und seinem selbstgefälligen Rechtsverdrehen und im Vertrauen auf seine Waffenarsenale und seine übereifrigen Trittbrettfahrer einen nach dem anderen zu Boden ringen wird, weil er glaubt, dass er und die Seinen es können. Ein erbärmliches Schauspiel – in Mitteleuropa, vor gerade mal achtzig Jahren – war auch so ein unbelehrbarer Fundamentalist am Werk gewesen mit den allzu präsenten Folgen.

Für sie alle aber gilt gleichermaßen, was im Sprichwort festgeschrieben ist:

Hochmut kommt vor dem Fall.

26 Juli

Europa – Meditation Nr. 511

Solche Bilder sind ins historische Gedächtnis der Deutschen tief eingebrannt.

Diese Gleichzeitigkeit ist fast unerträglich: lange Autoschlangen an Zollgrenzen: Urlauber wollen endlich an ihr Ziel gelangen – „mare nostrum“ – „unser“ Meer – wo schon die Bewohner stöhnen, weil diese Menschenmengen einfach viel zu viel geworden sind. Schlecht gelaunte kleine Kinder, die nur noch mit ununterbrochenem Algorithmusflug vordergründig zu beruhigen sind – so lange eben dieser Sternen-Ersatz-Flug dauert – fletzen in ihren klima-gekühlten Sitzen und sind nicht mehr ansprechbar, greifen nebenher in die Chips-Tüte und mampfen und mampfen still vor sich hin, stieren Blicks.

Lange Menschenschlangen mit zerbeulten Töpfen an provisorischen Ausgabestellen unter der unbarmherzigen Sonne an eben diesem gleichen Meer, nur ein paar hundert Kilometer östlich. Ein bizarres Gedränge, weil es viel zu wenig gibt und weil die Kinder möglichst schnell wieder weg wollen, auch beim Wasser holen. Denn immer wieder explodiert aus heiterstem Himmel eine Bombe. Und ausgemergelte Winzlinge in den Armen verzweifelter Mütter, die insgeheim wissen, dass sie nur dem Tod bei seiner Arbeit helfen, statt Leben wachsen zu lassen.

Vor 80 Jahren machten amerikanische und britische Fotografen ebenfalls Bilder von mehr als ausgemergelten Kinder, Frauen, Männer, junge wie alte gleichermaßen, die aus tiefen grauen Augenhöhlen auf die Befreier starren, als wären sie in einem Traum stecken geblieben. Aber sie bekommen endlich wieder etwas Nahrhaftes zu essen und zu trinken. Es fühlt sich an wie ein zarter Hoffnungsschimmer.

Nicht so an den Gestaden „unseres Meeres“: da scheint Nahrung nur die kurze Unterbrechung vor dem Ende notdürftig auszufüllen, „Gaza, Gaza, warum hast du uns verlassen?“, die glasigen Augen der Babies schon auf ihrem Flug in andere Welten, wo keine Gewalt mehr das Sagen hat, wo Ruhe herrscht, wo Helfen alle gleichermaßen beseelt, wo Frieden alle gleichermaßen beflügelt und beseelt. Aber keine Antwort, nirgends.

Und gleichzeitig wechseln in voll klimatisierten Wohnzimmern die Bilder von sportlichen Highlights zu drastischen Kriegsszenen, von Waldbränden, Sturzfluten und schmelzenden Gletschern in Grönland zu Krimis, hysterischen Frage-Runden und staub trockenen Politiker-Statements.

Das Chaos übernimmt wieder weltweit das Ruder, das vorher nur scheinbar in vernünftigen Händen zu ruhen schien. Ein zäher count-down wälzt sich bräsig weiter und weiter. Und wie Lemminge scharen sich alle hinter Leittieren und deren Staubwolken.

24 Juli

Europa – Meditation Nr. 510

Die Wiederkehr des Immer Gleichen.

Das Sommerloch. Verlässlich versucht es uns jedes Jahr zu belästigen. Eine bedrohliche Stille geht mit ihm einher. Als wolle es einfach nur Atem holen, als wolle es sagen: „Ist doch alles nicht so schlimm!“

Dabei ist es so schlimm wie immer – oder sogar noch ein bisschen schlimmer. Denn nun sind auch die 1/0-ALGORITHMEN an die zunehmende Erderwärmung gewöhnt, bringen die Medien nicht nur Waldbrände und Sturzfluten im Anschluss an Drohneneinschläge u zerberstende Körper bei Nahrungssuche und erster Hilfe, nein, jetzt scheint das alte/neue Narrativ zu lauten: Männer machen Geschichte, obwohl Brecht schon vor so langer Zeit in seinem Gedicht vom lesenden (!) Arbeiter die Zeilen schrieb: „Caesar eroberte Gallien, hatte er wenigstens einen Koch bei sich?“ Will er denn gar nichts lernen, der homo sapiens sapiens? Müssen jetzt auch die Frauen das Gewaltprogramm der Patrix als patriotische Nummer mit inszenieren? Brav haben die User der social media ihre Ferien mit Flieger gebucht, still sitzen die Kinder im Airbus vor ihren Flimmerflächen, alles nach Plan und ziemlich verlässllich, wie die in Lauerstellung verharrende Klimakrise – in Vancouver genauso wie in der Nord-Ost-Passage – und gleichzeitig steigen die Kurse der Rüstungskonzerne ins Wunderbare. Schnell noch aufspringen: Windpark-Werte rasch abstoßen, Seltene Erden in Peru im Auge behalten, militärische Gerätschaften brauchen dringend solches Zeug, auch da könnte man noch investieren. Devise: breit aufstellen, langfristig planen, kurzfristig flexibel bleiben. Alles unter Kontrolle – was für eine kindliche Parole!

Und im TV werden olle Kamellen stillschweigend ins Programm geschmuggelt, um zu sparen – für die neue Serie, die einfach wie bei netflix ein burner werden muss, unbedingt. Der etwas müde Konsument schielt halb zu dem beängstigenden Rumoren auf den Phlegräischen Feldern, halb zum Frauenfußball und zu kitzligen Krimis, die doch immer wieder enttäuschen: zu klischeehaft, zu fassadenhaft, zu bemüht, die Konkurrenten mit ungewöhnlichem Sound und schrägen Typen zu toppen. Dennoch schaut man eine Weile hin, um dann doch einfach nur einzuschlafen oder zappend seinen Unwillen in Alkohol zu versenken.

Diese zunehmende Stille im Sommer mutiert so zu einem unheimlichen Monster von Unzufriedenheit, kleiner Empörung und richtig schlechter Laune. Also doch noch als Kurzbucher mit einem Schnäppchen nach Kreta? Immer noch besser als im öden Sommerloch zu ersaufen. Also wirklich. Früher…