08 Apr

Europa – Meditation # 447

Europa – ein doppelter Rohrkrepierer.

Von Anfang an ist das Narrativ vergiftet‚ denn ihm haftet ganz und gar nichts Positives an: Beginnt die Erzählung im hehren Gewande eines Mythos doch mit einer gewaltsamen Entführung, mit Vergewaltigung, Lug und Trug. Aber auch die zweite Erzählung nach 1945 – die von Robert Schuman, dem soganannten „Architekten des europäischen Einigungswerks“ – die von den Vereinigten Staaten von Europa, ist eine blank polierte Fata Morgana, die nur den Waren- und Geldverkehr erleichterte und damit die Bereicherungswelle der sowie so schon Reichen – hüben wie drüben. Denn auch die sogenannten Vereinigten Staaten von Amerika waren alles andere als einig. Auch dort half die Vereinigung bloß dem Geldfluss und den Eisenbahngesellschaften, die unglaubliche Gewinne nach Hause fuhren – auf dem Rücken elender Arbeitsverhältnisse der Chinesen, Sklaven, Norweger und anderer Glückssucher, die doch nur erbärmlich vor Ort zugrunde gingen im 19. Jh. In den Büchern allerdings stehen jetzt die Namen der glorreichen Firmen, die damals – die eigentlichen Einwohner des riesigen Landes vor sich her trieben und ausrotteten oder in Reservaten still stellten (der Film „Killers of the Flowermoon“ über das Leid, dass diese „Amerikaner“ über die Osage brachten, weil sie deren Ölfunde ausbeuten wollten, ist ein spätes Echo solcher unerbittlichen Geldgier, Lüge und Verstellung).

Nach so vielen Kriegen auf dem europäischen Kontinent (den Bauernkriegen, dem Dreissigjährigen, den Reunionskriegen, den nordischen Kriegen, dem Siebenjährigen, dem spanischen Erbfolgekrieg, den Revolutions- und Napoleonischen Kriegen, dem Bruderkrieg, dem deutsch-französischen Krieg, dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg), hielten für einen Weltmoment die sogenannten Alliierten das Rad des Schlachtens in Europa an, um mit ihren Systemen den europäischen Kontinent still zu stellen.

Die halbierten deutschen Länder preschten mit Nibelungentreue und Gefolgschaftsschwüren nach vorne – ließen scheinbar „kühn und worteich“ ihren sechsjährigen nationalen völkermordenden Brutal-Alleingang hinter sich und erfanden sich gänzlich neu als demütige „Europäer“, um so Geld- und Produktionsinteressen leichter und noch erfolgreicher inszenieren zu können.

Die Gülle auf Brüssels Straßen im März 2024 ist die wütende Antwort der Bauern aus den unterschiedlichsten Regionen Europas auf die jahrzehntelange Bestechungs- und Korruptionspolitik; auch die magere Wahlbeteiligung bei Europawahlen spricht Bände: Wie sollen diese geschniegelten Damen und Herren in den sündhaft teuren Beton-, Stahl- und Glaskästen in Brüssel und Straßburg denn für den Bauern und Bergarbeiter europaweit ernstzunehmende Vertreter i h r e r Interessen sein? Wie bunte Seifenblasen wirken die Statements aus der EU-Zentrale: Sie schützen die pustenden Blasebälger und sichern deren Altersversorgung, während die Subventionsspirale heiß läuft.

So überlagert die Erzählung von einem vereinten Europa die eigentliche Gemengelage in Europa: Die Basken, die Jurassen, die Waliser, die Korsen, die Bretonen, die Bayern, die Badener, die Tiroler, die Schotten, die Gälen, die Friesen, die Flamen und Wallonen, die Holländer usw. – sie alle, die Liste herunter bis nach Tirana und Kiew ließe sich noch um etliche erweitern und verschönern. Sie spiegelt die beeindruckende Vielfalt der Stimmen und Interessen auf dem europäischen Kontinent, die einfach nicht in eine Korsage à la „Vereinigte Staaten von Europa“ oder EU (das ist viel kürzer und knackiger, bzw. aalglatter auch)“ passen will. Das zum Prokrustes-Bett ( wer nicht passt, wird einfach passend gemacht, notfalls auch mit Gewalt!) degenerierte Konzept EU hat dem gegenüber die Briten – wenn auch mit einer hysterischen und verlogenen Kampagne – aus diesem Sumpflied heraus katapultiert. Sie sind jetzt zwar etwas ärmer (was auch immer das bedeuten mag), aber haben so auch wieder den Kopf frei für eigene Fehlentscheidungen. Und wähnen sich nun wieder selbst bestimmt.

Während auf dem Kontinent – nicht zuletzt wegen des mörderischen Krieges im Osten Europas – die Bereitschaft wächst, alles auf die Karte einer rasant wachsenden Rüstungsindustrie zu setzen, statt auf mehr Betreuung der Kleinen und der Alten – wird weiter am verlogenen Narrativ gewerkelt.

05 Apr

Europa – Meditation # 446

Das Rüstzeug für eine zukunftsfähige Generation

Die theatralischen, alltäglichen Aufgeregtheiten verbrauchen unerbittlich die Aufmerksamkeit der Europäer: hektisch hecheln sie von Event zu Event, von Katastrophenbild zu Katastrophenbild, von lautstarken Empörungsgesten zu hysterischen Besserwissereien. Immer sind es die „Großen“, die sich wichtig tun, während die „Kleinen“ umsonst um Zeit und Aufmerksamkeit buhlen. Sie bekommen sie höchstens in den schlagwortartigen Einleitungssätzen ermüdender Grundsatzreden scheinbar wichtiger Volksvertreter, die von sich behaupten, sie verträten die Interessen des Volks – unbestechlich und engagiert, während im Vorfeld längst die Lobbyisten ihre Pflöcke einzuschlagen wussten.

Seit Jahrzehnten (!) lautet der Einleitungssatz solcher Reden: „Unsere Kinder sind das wichtigste, was wir haben. Für ihre Zukunft müssen wir alles tun, was in unseren Kräften steht!“

Doch dann übernimmt übergangslos der unwiderstehliche „main-stream“ die Themen des Tages und der Stunde: steigende Kurse an der Börse, abnehmende Auftragseingänge im Bauwesen, boomende Rüstungsindustrie, Antichambrieren hier und da in Jerusalem, Kiew, New York, Brüssel…

Längst ist der schöne Einleitungssatz verhallt. Ein verlogenes Spiel. Die Kleinen haben eben keine Lobby. So ein Pech aber auch!

Dabei sind die vielfältigen Begabungen, die so weiter brach liegen werden, unbedingt nötig, um die anstehenden Herausforderungen halbwegs zu meistern: Die viel beschworene Medienkompetenz müsste systematisch angeregt und eingeübt werden. Da sind nämlich die Eltern und Betreuer nach wie vor ziemlich überfordert; und zwar nicht nur zeitlich, sondern auch fachlich. Noch wichtiger allerdings ist selbstverständlich die ökonomische Kompetenz: Wie sehr die Gesellschaften auf dem gesamten Globus bestimmt sind vom maßlosen Haben Wollen und den Konkurrenten Ausschalten Lernen, wird ja schon beim Kindergeburtstagsfest offenkundig. Nervöse Mütter, die materielle Vergleiche ungebremst an ihre Brut weiterreichen, damit diese auch gleich Bescheid weiß, wie der Hase läuft. Wie sehr alle inzwischen bereit sind, ihre Daten kostenlos den großen Playern zur Verfügung zu stellen, damit diese dem persönlichen Profil angemessen ihre Werbung platzieren können und die freudig erregten Konsumenten zum Schulden Machen leichtfertig überreden dürfen.

Wenn dann noch die Medien-Demokratie mit ihren Fallgruben von der nachwachsenden Generation nicht durchschaut wird, sollte man sich nicht wundern, dass die durchgenudelte politische Verdrossenheit weiter voran schreitet und das graue Nichts weiter und weiter sich ausbreitet, wie in der „Unendlichen Geschichte“ von Michael Ende bereits anschaulich vor Augen geführt.

Wenn die Jungen – und inzwischen auch selbst die Jüngsten schon – nur noch in ihren Blasen vom Stöckchen zum Steinchen hüpfen und dabei glauben, es ginge nur um sie und ihre eigene Unverwechselbarkeit und gar nicht mehr anders können, als vom virtuellen Raunen – der so sehr ermüdenden Alltagserfahrung – sich betören zu lassen, dann ist es aber wirklich höchste Zeit, dass nicht nur die demonstrierenden Schüler auf der Straße, sondern auch die erschöpften Eltern und die in sorgenvoller Geste lamentierenden Politiker ein klares Bündnis miteinander eingehen und klar stellen:

1. Die Kinder sind die wichtigste Priorität

2. Die Kitastrophe kann nur abgewendet werden, wenn mehr Zeit und mehr Kompetenz in diese alles entscheidende Anfangsphase investiert werden.

3. Die Grund- und weiterführenden Schulen werden ab sofort mit der doppelten Anzahl an Lehrern und Betreuern versorgt: attraktive Ausbildungsangebote und bessere Bezahlung als Wendesignal.

4. Lesen, Schreiben und Rechnen – ohne algorithmische „Pseudohilfe“ – bei gesunder, kostenloser Ernährung für alle.

5. Fächer wie „Was ist Geld? Und wie gehe ich damit um?“ Werden neben Wirtschaft, Politik und Geschichte zentral im neuen Lehrplan verankert.

6. Kreativität wird systematisch in den musischen Fächern flankierend verankert.

Die Schulden, die für solch einen Epochen-Neustart dringend zu machen sind, werden sich wahrlich finanzieren lassen, weil die neue Generation, die so geschult und begleitet aufwächst, Kräfte frei setzen wird, die einen ganz neuen Reichtum an geistigen, sozialen und wirtschaftlichen Neustarts

ermöglichen wird. Der sogenannte Neo-Liberalismus erübrigt sich dabei als übler Heuchler und privilegierter Gesundbeter.

27 Mrz

Europa – Meditation # 445

Individuelle Freiheit – ein trauriger Torso nur noch.

Der Bildungsbürger – ganz in der Humboldtschen Tradition des 19. Jahrhunderts – ging bisher durch ein langes, mühsames Tal des Lernens, bevor man bereit war, ihm zu attestieren: Du bist zu einem gebildeten Bürger gereift. Besonders die Institution SCHULE sollte dafür sorgen, dass dieses Ziel nachhaltig erreicht wurde.

Zwei Sinnnbrüche hätten genügen sollen – der Erste und der Zweite Weltkrieg – dieses langfristige Lernmodell des homo sapiens zu hinterfragen, zu überarbeiten. Doch die Beharrungskräfte des alten Modells erwiesen sich als beharrlicher. Kein bisschen weise!

„Nie wieder Krieg!“ lautete der mutige Nachkriegs-slogan. Man wollte dem Sieger gegenüber als radikal lernfähig erscheinen: Bildungsreformen wurden beschlossen und bürokratisch umgesetzt. Dabei galt der große Bruder aus Übersee über Nacht als unanfechtbares Vorbild, das im Vergleich zum ideologischen Feind einen Pyrrhus-Sieg nach dem anderen nach Hause fuhr: Bei der Umstellung von Kriegs- auf Friedensproduktion beschleunigten die Macher an den großen Seen die Produktionsprozesse in Richtung Automatisierung und beschleunigtem Konsum. Und der nibelungentreue Juniorpartner in Mitteleuropa hechelte kopierend hinterher und demontierte leichtfertig und blauäugig altbewährte Gewohnheiten in europäischer Tradition. Bis in die Sprache hinein gab man auf und ab.

Hätte man sich die High-Schools im Mittleren Westen genauer angesehen, hätte man dort schon die Folgen eines enthemmten Konsumdenkens besichtigen können: Randale, Müll, Gewalt und abgewirtschaftete Gebäude, von Toiletten gar nicht erst zu reden. Die jungen Leute, die dort Tag für Tag abhängen, langweilen sich zu Tode, hassen ihre Lehrer, bedrohen sie sogar mit heimlich mitgeschleppten Waffen. Alltag. 1974 gab es in der University of Michigan – nahe Detroit – einen Vortrag für die Studenten über solche Verhältnisse in Schulen. Die Gast-Studenten aus Europa konnten es nicht fassen: Unglaublich, nicht zu fassen! 50 Jahre später können diese alt gewordenen Studenten in Mitteleuropa ganz ähnlich Verhältnisse zu Hause konstatieren: Langeweile, Mobbing, Gewalt und desolate Gebäudezustände: Die Kleinen fürchten sich davor, vor Ort eine Toilette benutzen zu müssen, so ekelhaft sind die Verhältnisse. In diesen Tagen gibt es Schüler-Proteste und klare Forderungen: Kleinere Klassen, sanierte Schulhäuser und sanitäre Einrichtungen. Die verantwortlichen Erwachsenen haben allerdings andere Prioritäten, starren gierig auf die Börsenkurse und huldigen dem Gott des Neo-Liberalismus, als hätte der ein Interesse an nörgelnden Kindern, die keine Lust auf Lesen, Schreiben und Rechnen haben und auf soziale Kompetenz schon mal gar nicht. Anscheinend gibt es wichtigeres als stabile nachwachsende Generationen aufwachsen zu lassen.

Das offizielle Lernziel der Abiturienten bleibt aber nach wie vor „die eigenständige, kritische Persönlichkeit“, die dann als Reife definiert ist. Dass aber inzwischen dieselben jungen Leute in ihren eigenen Blasen unterwegs sind, wo es um Eitelkeiten, Follower, Emojis, Klicks und Zustimmungswerte geht, die bitte schön im Sekundentakt bedient sein wollen, und nicht um das traditionelle Bildungsideal vom unabhängigen Individuum, das sich selbst ein kritisches Urteil zu bilden gelernt hat, das entgeht den Großkopf-Typen in ihren großen Blasen – den sogenannten digitalen Medienverbünden – völlig. Die Nachricht von den streikenden Schülern ist längst im Papierkorb entsorgt.

Und das damit einher laufende zunehmende Tempo ermüdet natürlich alle ungemein. Man ist erschöpft, putscht sich auf und würgt jede Debatte mit dem Totschlagargument „Sehr komplex!“ einfach ab.

Weil aber gleichzeitig die Schlagzahl der gesellschaftlichen Zwänge – Mieterhöhungen, Versicherungszahlungen, Status-Symbol-Spirale – beinhart erhöht wird, müssen selbst die kleinen Kinder zunehmend alleine – ohne ihre Eltern – klar kommen, weil sonst die laufenden Kosten aus dem Ruder laufen. „Willkommen in digitalen Nirwana“, hier kann jeder jederzeit alles haben, die immensen unsichtbaren Energiekosten dafür zahlen wiederum die Steuerzahler. Tsunami normal. Vereinsamung massenhaft.